YAMAHA NIKEN – Motorrad, durch und durch

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Als MotoScout24 TestRider konnte Thomas (49) die Yamaha NIKEN während einem verlängerten Wochenende ausprobieren. Er erzählt uns, wie sich das ungewöhnliche Gefährt im Alltag schlägt und ob es sich auch wie ein echtes Motorrad fährt.

Zahlen zur Yamaha NIKEN

  • Motortyp: 3-Zylinder-Viertaktmotor
  • Hubraum: 847 cm3
  • Leistung: 115 PS bei 10‘000/min
  • Max. Drehmoment: 88 Nm bei 8‘500/min
  • Gewicht vollgetankt: 263 kg
  • Tankfüllmenge: 18 Liter
  • Preis Testmotorrad: CHF 17‘990.-
Etwas ungewöhnlich sieht sie schon aus, die dreirädrige Yamaha NIKEN. Sie wartet darauf, von TestRider Thomas während einem verlängerten Wochenende ausgiebig getestet zu werden. „Ziemlich breit das Teil, ob ich die zu Hause durch das Gartentor kriege“ wundert sich Thomas. Tatsächlich ist die NIKEN mit den zwei Vorderrädern und der breiten Frontmaske eine wuchtige Erscheinung – und mit 263 Kilo auch kein Leichtgewicht. Schwere Motorräder ist sich Thomas, der sonst eine Ducati Diavel fährt aber gewohnt. Für den 15‘000-pro-Jahr-Vielfahrer sollte ein Motorrad ordentlich Power haben und bequem sein. Gut, dass die von Yamaha zur Verfügung gestellte NIKEN mit dem optionalen GT-Paket ausgestattet ist und sich damit ideal für lange Strecken eignet. Auf dem Weg zum Hotel am Fuss des Passo dello Stelvio hat Thomas reichlich Gelegenheiten, die Langstreckentauglichkeit und Kurvenwilligkeit zu testen.

Doppelte Vorderräder, doppelter Grip?

Das Leaning Multi Wheel (LMW) dem die meisten wohl einfach „das zweite Vorderrad“ sagen dürften, interessiert TestRider Thomas natürlich am meisten. „Zu Beginn ist es schon ein wenig ungewöhnlich“, meint Thomas, „aber man gewöhnt sich schnell daran.“ Und dann – so Thomas‘ Urteil fährt sich die Yamaha NIKEN wie ein ganz normales Motorrad. Kurven lassen sich damit unerwartet eng fahren, da die beiden Vorderräder extrem viel Grip bieten. „Vieles ist wohl auch Kopfsache“, mutmasst Thomas. Die mentale Unterstützung die ein zweites Vorderrad trägt einen wesentlichen Teil zum sicheren Fahrgefühl bei. Aber auch physikalisch hilft das LMW-System: während bei einem konventionellen Motorrad ein in Schräglage wegrutschendes Vorderrad unweigerlich zum Sturz führt, hat der NIKEN Fahrer noch weitere Sicherheitsreserven. Das überfahren von nassen Bitumenstreifen oder Tramgleisen gelingt auf der NIKEN ohne aufgestellte Nackenhaare.

Tourentaugliche Technik

Auch geradeaus überzeugt die Yamaha NIKEN vollends. Der aus der Yamaha MT-09 bekannte115 PS starke CP3-Motor lässt sich in der Gasannahme dreistufig verstellen und überzeugt auch den leistungsverwöhnten Thomas: „Vor allem in der direktesten Gasannahme geht die NIKEN voll ab – das hätte ich so nicht erwartet!“. Bei Regen schützt eine zweistufig einstellbare Traktionskontrolle vor einer zu übermütigen Gashand. Der optionale Tempomat kommt zum Kilometerabspulen gerade recht. Allerdings lässt sich dieser erst ab einer Geschwindigkeit von 45 km/h und nur ab dem 4. Gang einschalten – eine Einschränkung die in der Praxis etwas nervt. Gut dass da ein Am besten gefallen haben Thomas aber die ebenfalls optionalen, im GT-Paket enthaltene Griffheizung: „Auf der dritten, höchsten Stufe heizen die Griffe so sehr, dass es beinahe unangenehm wird. Aber Stufe 1 und 2 kommen bei langen Herbstausfahren gerade recht.“

Fahrgefühl auf drei Rädern

Beim Start gibt sich der 850 Kubik etwas verhalten: „Naja, emotional ist der Motorsound nicht gerade“ urteilt Thomas. Sobald der Dreizylinder aber hochgedreht wird, facht er giftig, als wolle er dem Fahrer sagen: „mehr davon!“. Dann giert die NIKEN förmlich nach Drehzahlen und Überholmanövern, bis die breite Front aber wieder etwas zur Vorsicht mahnt: die NIKEN ist nämlich so breit, dass man sich gerade auf engeren Landsträsschen zweimal überlegt, ob das Motorrad zwischen die Lücke passt. Dass sich auch hier vieles nur im Kopf abspielt, wird bei einem Blick ins Datenblatt klar: die NIKEN ist mit mit 885mm Gesamtbreite nur 35mm breiter, als eine vergleichbare Yamaha Tracer 900. Dafür bewahrt einem die NIKEN aber vollautomatisch davor, zum Gesetzesbrecher zu werden – ein Durchschlängeln im stehenden Stadtverkehr oder im Stau ist damit nämlich kaum möglich. Am wohlsten fühlt sich die sehr komfortabel abgestimmte NIKEN aber ohnehin auf der Landstrasse. „Das Stilfser Joch bin ich schon früher ein paar Mal gefahren, aber mit der NIKEN habe ich diese Kurven neu entdeckt“, sagt Thomas, der die NIKEN sofort wieder für eine Ausfahrt am Stelvio nehmen würde.

Bequem auch auf langen Strecken

Während die NIKEN keine filigrane Erscheinung ist, kommt der wuchtige Auftritt dem Komfort auf Langstrecken zugute. Der extrem breite Sitz ist äusserst bequem und bleibt es auch nach 8 – 9 Stunden noch. Mit seinen 1.87 Metern Körpergrösse erreicht Thomas Füssen den Boden, wer etwas kürzere Beine hat, dürfte es jedoch schwer haben, mit der NIKEN festen Stand zu finden. Diese finden hingegen hinter dem – optionalen – Windschild guten Schutz, während grossgewachsene auf der Autobahn mit unangenehmen Verwirbelungen am Helm leben (oder hinter der Scheibe wegducken) müssen. Über alle Zweifel erhaben ist hingegen das Gepäcksystem – ebenfalls Teil des optionalen GT-Pakets. Die zwei Mal 25 Liter Volumen bieten reichlich Platz, auch wenn die Reise mal länger weggeht. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit geht das an- und abmontieren innerhalb von zwei Handgriffen mühelos von der Hand. Die Verarbeitung des gesamten Motorrads ist ohnehin einwandfrei. Gut bedienbare Knöpfe und eine logische Menüführung zeichnen die NIKEN aus. Und wer bereits Erfahrung mit Yamaha Motorrädern hat, wird sich ohnehin sofort heimisch fühlen.

Schattenseiten?

Gefällt Thomas also an der Yamaha NIKEN alles gut? Nicht ganz: Im Alltagsbetrieb offenbart die NIKEN, wie jedes andere Motorrad, auch Schwächen. Speziell hierbei ist jedoch, dass sich diese vor allem auf die Doppel-Vorderradkonstruktion beschränken. Einerseits lastet auf der Front naturgemäss sehr viel Gewicht. Das führt dazu, dass am Hinterrad bei einer etwas zügigeren Fahrweise die Haftung teilweise merklich nachlässt, was die Traktionskontrolle Überzeit arbeiten lässt. Zum Glück meistert sie ihren Job ausgezeichnet. Gegen das zweite Alltagsproblem hilft allerdings auch keine Anti-Schlupfregelung: die beiden Vorderräder befinden sich auf einer Linie mit den Beinen des Fahrers und wirbeln sämtlichen Dreck von der Strasse auf die Hosen und Stiefel. Was auf nassen Strassen ein Ärgernis ist, wird wie von Thomas erlebt während einem Alpabzug zu einem wortwörtlichen Shitstorm – nach der Fahrt ist nicht nur das Putzen des Motorrads sondern vor allem auch das Waschen von Hosen und Schuhen angesagt.

„Die NIKEN ist etwas für Personen, die zwar gerne Motorrad fahren, sich aber (noch) nicht mit einem Zweirad anfreunden können.“

Thomas Fazit:

Das Design der dreirädrigen NIKEN ist futuristisch und gewöhnungsbedürftig. Aber je länger Thomas die NIKEN anschaut, umso besser gefiel sie ihm. In jedem Fall ist sie etwas für extrovertierte Menschen. Während seinem Kurztrip musste die NIKEN vor unzähligen Smartphone-Kameras Sujet stehen, während Thomas mit Fragen gelöchert wurde. Die NIKEN ruft neugierige und überwiegend positive Reaktionen hervor. Auf die Frage, für wen er die NIKEN als ein besonders geeignetes Motorrad sieht antwortet Thomas: „Die NIKEN ist etwas für Leute, die etwas aussergewöhnliches suchen. Und für Personen, die zwar gerne Motorrad fahren, sich aber auf mentaler Ebene (noch) nicht mit einem Zweirad anfreunden können.“ Denn eines ist bei der NIKEN klar, sie mag noch so ungewöhnlich anzuschauen sein, die Sicherheitsreserven bietet sie nicht nur effektiv auf der Strasse sondern vor allem im Kopf des Fahrers. In erster Linie fährt sie sich aber wie ein waschechtes und vor allem gutes Motorrad.